• golli@lemm.ee
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    6 months ago

    Meine Einschätzung als interessierter Laie:

    TLDR: Theoretisch ja, praktisch nein: Rechenleistung wird immer mehr in fast allen Wirtschaftsbereichen benötigt. Für Unternehmen im internationalen Wettbewerb wäre diese Lösung nicht praktikabel. Ind woher sollen die Massen anderer Chips kommen falls der Zugang zu leeding-edge chips wegfällt?


    Prinzipiell ist es korrekt, dass auch Prozessoren die auf älteren Fertigungsprozessen beruhen dieselben Berechnungen durchführen könnten nur ineffizienter. Und mit mehr Chips könnte man das ganze beschleunigen.

    Die Frage ist allerdings wie realistisch diese Alternative ist, vor allem im Kontext wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Mehr Prozessoren (für die gleiche Leistung) bedeuten ja auch nicht nur das mehr Chips benötigt werden, sondern auch mehr Energieverbrauch, mehr Server hardware, Kühlung, Gebäude und so weiter. Das macht Kostenmäßig massive Unterschiede und die Technik entwickelt sich extrem schnell weiter (siehe Moor’s Law).

    Rechenleistung wird heutzutage überall in immer weiter wachsendem Maße benötigt. Nicht nur für den aktuellen Hype mit AI und Large Language Models wie ChatGPT, sondern in praktisch allen Wirtschaftsbereichen. Zum Beispiel in der Pharmaindustrie (siehe projekte wie Alphafold), überall in der Industrie wo du etwas simulieren musst wie Aerodynamik oder Materialeigenschaften und letztlich überall wo Daten anfallen und man Trends erkennen und optimieren will. Unternehmen die im internationalen Wettbewerb stehen und nur Zugang zu langsameren Chips hätten, würden es extrem schwer haben konkurenzfähig zu bleiben.

    Das ist also gesamwirtschaftlich relevant und im Vergleich zur Solarindustrie gibt es hier auch eine erheblich größere Lieferkette, anderweitig verflochtene Unternehmen, gutbezahlte Jobs und Know-How, welche man durch den Bau einer Fab versuchen kann anzusiedeln.

    Davon abgesehen stellt sich natürlich auch die simple Frage: Wenn wir aus irgendeinem grund keine leeding-edge Chips bekommen, woher sollen dann plötzlich die Massen an anderen Chips kommen?


    Um den status quo der Chipherstellung ein bisschen zu beleuchten:

    Es gibt Chips die auf älteren, größeren Prozessen basieren, welche vor allem im industriellen Rahmen (z.B. der Autoindustrie) Anwendung finden. Dort kommt es primär auf Kosten und Zuverlässigkeit an, weniger auf Rechenleistung oder Effizienz. In diesem Bereich gibt es mehr unterschiedliche Hersteller. Wie ein Angebotsschock hier aussieht haben wir z.B. durch Corona erlebt, wodurch die Montagebänder aufgrund von Chip-Mangel teilweise still standen und Preise massiv nach oben gingen. Aus diesem Grund wird TSMC in Kooperation mit Bosch und Infenion wahrscheinlich auch subventioniert eine Fab (glaube für 28nm) hier in Deutschland bauen.

    Was die Herstellung moderner Chips (damit meine ich nicht nur die absolute leeding edge, sondern auch was ein paar generationen älter ist wie z.B. 10nm) angeht haben wir in Europa glaube ich nur Intel Fabs in Irland. Ansonsten ist die meiste Kapazität in Taiwan, gefolgt von den USA, Korea, China und Israel (intel).

    Man würde heutzutage wohl eher keine “mittleren” 7nm oder 10nm Fabriken neu bauen, weil es nicht wirtschaftlich wäre. Zu schlecht für high end Chips und zu teuer für simplere Anwendugen. Vor allem weil ja existierende Kapazitäten frei werden, sobald das nächst bessere bereit ist. Wenn man neu baut ist es also entweder leeding edge oder das was TSMC baut für die Industrie, nicht was dazwischen liegt.

    Wobei eine Fabrik nicht konstant geupgraded wird, also nicht permanent an der absoluten leeding edge bleibt. Sobald eine Fab am start ist läuft das erstmal auf dem festgelegten Fertigungsprozess (mit vllt kleinen updates) weiter. Bis sie irgendwann zu alt ist und es wirtschaftlicher ist zu upgraden (weil ein komplett neuer Standort noch teurer wäre als der Kapazitätsverlust durch den Austausch der existierenden Geräte).

    Wir subventionieren also garnicht unbedingt speziell nur den Bau einer absoluten leeding edge Fabrik, sondern generell Kapazitäten für moderne Chips und das Know-How diese unabhängig Produzieren zu können. Und diese Notfalls dann auch ausbauen zu können und nicht von 0 zu starten zu müssen wenn es zuspät ist.

    Man muss aber vielleicht noch erwähnen, dass wir in Europa mit Unternehmen wie ASML oder Zeiss absolut einzigartige und unersätzliche Unternehmen in der Semiconductor Lieferkette besitzen. Da stehen wir also nicht komplett nackt dar. Wir haben es halt nur leider Versäumt mit der Chip-Herstellung und damit Verbundenen Wertschöpfung am Ball zu bleiben.


    Um ein den geopolitischen Hintergrund ein bisschen zu beleuchten:

    Globale Krisen wie Corona, aber auch der potentielle Krieg zwischen Taiwan (wo ein Großteil der weltweiten Chip industrie angesiedelt ist) haben zu einem deglobaliserungs Denken weltweit geführt. Der Ausfall von Taiwans Chipindustrie z.B. würde jegliche bisherige Krise lächerlich aussehen lassen.

    Ganz konkret z.B. hat die USA auch schon Ausfuhrverbote nach China für high end GPUs von Nvidia und Maschienen zur Chip Herstellung von ASML verhängt. Unter anderem deswegen versucht China schon relativ lange in diesem Bereich unabhängiger zu werden. Aber auch die USA subventionieren den Bau neuer Fabriken massive mit dem CHIPS Act und Japan versucht mit Rapidus leeding edge Fähigkeiten aufzubauen. Es folgen also nicht nur Deutschland/Europa sondern alle die es sich Leisten können diesem Trend.

    Für Taiwan ist die Chipindustrie praktisch ihr bestes Schutzschild gegen China, da es die Unterstützung des Westens garantiert.

    • gandalf_der_12te@feddit.de
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      6 months ago

      Mehr Prozessoren (für die gleiche Leistung) bedeuten ja auch nicht nur das mehr Chips benötigt werden, sondern auch mehr Energieverbrauch, mehr Server hardware, Kühlung, Gebäude und so weiter. Das macht Kostenmäßig massive Unterschiede und die Technik entwickelt sich extrem schnell weiter (siehe Moor’s Law).

      Also ich habe gerade nachgeschaut, und der Stromverbrauch würde beim Umstieg auf ARM z.B. nicht steigen, sondern eher sogar sinken. (siehe z.B. hier.

      Man würde heutzutage wohl eher keine “mittleren” 7nm oder 10nm Fabriken neu bauen, weil es nicht wirtschaftlich wäre. Zu schlecht für high end Chips und zu teuer für simplere Anwendugen. Vor allem weil ja existierende Kapazitäten frei werden, sobald das nächst bessere bereit ist. Wenn man neu baut ist es also entweder leeding edge oder das was TSMC baut für die Industrie, nicht was dazwischen liegt.

      Da stimme ich dir übrigens zu, das ist schön formuliert.

    • gandalf_der_12te@feddit.de
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      6 months ago

      Globale Krisen wie Corona, aber auch der potentielle Krieg zwischen Taiwan (wo ein Großteil der weltweiten Chip industrie angesiedelt ist) haben zu einem deglobaliserungs Denken weltweit geführt. Der Ausfall von Taiwans Chipindustrie z.B. würde jegliche bisherige Krise lächerlich aussehen lassen.

      Noch ein guter Punkt. Ich denke, man könnte den Unsicherheiten in der Lieferkette zum einen natürlich durch den Aufbau eigener Kapazitäten, zum anderen auch durch hoarding (also Lager befüllen) begegnen. So wie wir es derzeit mit den billigen chinesischen Solarzellen machen.